Ist das neue Zweckentfremdungsverbot-Gesetz unwirksam?

Muss ich überhaupt etwas tun? Was mache ich?

 

In seinem Urteil vom 13. Juni 2002 stellte das Oberverwaltungs- gericht Berlin (Az: 5 B 22.01 – GE 2002, 1128) fest, dass die damalige 2. Zweckentfremdungsverbotsverordnung, der Vorläufer des heutigen Gesetzes, rückwirkend zum 1. September 2000 außer Kraft getreten ist. Grundlage dafür sei nach Auffassung des Gerichts, dass – zumindest damals – eine Mangellage auf dem Berliner Wohnungsmarkt flächendeckend nicht mehr gegeben sei. Da es heute an Datenerhebungen zur Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt weitgehend fehlt, besteht eine Chance, dass auch das neue Gesetz gekippt werden wird. Wie jedoch bereits das Urteil des Oberverwaltungsgerichts zeigt: Allenfalls kann in einigen Jahren mit einer rückwirkenden Aufhebung zu rechnen sein. Erst einmal bleibt das neue Gesetz wirksam und alle darauf gestützten Verwaltungsentscheidungen sind rechtmäßig und vollstreckbar. Daher ist es unabdingbar, rechtzeitig Rechtsmittel dagegen einzulegen.

 

Die grundsätzliche Zulässigkeit von Zweckentfremdungsverboten wurde vom Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigt. Jedoch verpflichte das Verfassungsgericht die Landesregierungen, bei einer dauerhaften und nachhaltigen Entspannung auf dem Wohnungsmarkt die Zweckentfremdungsverbot wieder aufzuheben. Allerdings stünde dem Gesetzgeber ein Ermessensspielraum zu, er müsse nicht auf jede Schwankung sofort reagieren. Die Grenzen des Untätigbleibens seien aber eindeutige Verfassungsverstöße, dies liege vor, wenn eine weit gehende Entspannung auf dem Wohnungsmarkt „fühlbar“ sei. 2002 hat das Land Berlin Förderung des Wohnungsbaus weitgehend eingestellt, habe auf die Erhebung von Fehlbelegungsabgaben in Sozialwohnungen teilweise verzichtet und den Abriss von Wohnraum sogar staatlichen Mitteln gefördert (Plattenbauten). Insbesondere habe der Berliner Senat eine Mangellage nicht nachweisen können; der Senat behauptete eine Leerstandsquote von 5,3%, die jedoch durch das Oberverwaltungsgericht in Frage gestellt wurde.

 

Tatsächlich ist die Datenlage für den Berliner Senat seit 2002 deutlich schlechter geworden. Eine wesentliche Erkenntnisquelle für den Wohnungsleerstand waren die Meldungen des Stromversorgers Vattenfall (vormals BEWAG); es wurde einfach die Anzahl der  ungenutzten Stromzähler als leerstehende Wohnungen bewertet. Seit dem Jahr 2011 liefert jedoch Vattenfall keine Zahlen mehr. Der letzte so ermittelte Leerstand erfolgte zum 1. Juli 2010 mit 133.000 angeblich leer stehenden Wohnungen (Quelle: Berliner Mietergemeinschaft). Zwar hat der Senat das Beratungs- und Forschungsinstitut Gewos mit einem Gutachten beauftragt, das aber nur  für die Bezirke Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf einen stark angespannten Wohnungsmarkt ausweist: dorte liege der Anteil der freien Wohnungen teilweise unter 1%, obwohl für einen funktionierenden Wohnungsmarkt mindestens 3% leer stehende Wohnungen benötigt werden. Diesem Datenmaterial widerspricht die Investitionsbank Berlin-Brandenburg (IBB) in einer eigenen, jedoch nicht repräsentativen Studie.

 

Einen flächendeckenden Wohnraummangel im Land Berlin wird der Senat in einem gerichtlichen Verfahren kaum beweisen können. Aber auf Grund des neuen Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes ist es möglich, das Verbot nur für Teilbereiche Berlins anzuwenden. In den zentralen Bezirken gilt der Nachweis einer Mangellage an günstigem Wohnraum als möglich. Sofern die zu erlassende Verordnung Teile des Stadtgebietes, z.B. Marzahn, ausnimmt, so könnte sich dies als Teufelskreis für den Senat erweisen: Bei eingehender Auswertung der oben zitierten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahre 2000 könnte die Beschränkung des Zweckentfremdungsverbots auf bestimmte Verwaltungsbezirke oder sonstige Teilbereiche der Stadt unwirksam sein. So schrieb das OVG 2002 in seinem Urteil:

„Ebenso wie die Beschränkung des Anwendungsbereichs einer Zweckentfremdungsverbotsverordnung auf ein Teilgebiet einer Gemeinde nicht zulässig ist, verbietet sich eine teilgebietsbezogene Betrachtung der Wohnungsnachfrage. … Die Weigerung von Wohnungsuchenden, ihren angestammten Wohnbezirk zu verlassen, vom Ostteil der Stadt in den Westteil oder umgekehrt zu wechseln, sowie die Ablehnung eines Umzugs in eine Plattenbausiedlung sind nicht Ausdruck einer Wohnungsnot, deren Bekämpfung das in die Verfügungsbefugnis des Eigentümers eingreifende Zweckentfremdungsverbot allein zu dienen bestimmt ist, sondern Ausdruck eines gesättigten Wohnungsmarktes.“

 

Auch die große Anzahl der zu Ferienzwecken genutzten Wohnungen wird für sich genommen ein Zweckentfremdungsverbot nicht rechtfertigen können. Wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls 2002 klar stellte, dürfe das Zweckentfremdungsverbot nicht auf städtebauliche oder sozialpolitische Zielsetzungen gestützt werden.

 

Gerade weil die Chance besteht, dass auch das neue Zweckentfremdungsverbot von den Gerichten in einigen Jahren für unwirksam erklärt werden wird, wäre es falsch, die neue Rechtslage einfach zu ignorieren. Es ist wichtig, gegen entsprechende Verwaltungsakte rechtzeitig Rechtsmittel einzulegen, damit diese Entscheidungen der Verwaltungsbehörde nicht bestandskräftig werden. Auch wenn das neue Zweckentfremdungsverbot nicht aufgehoben werden sollte, was durchaus möglich ist, eröffnet das neue Gesetz eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Interessen des Hauseigentümers durchzusetzen. Die Praxis mit der alten Zweckentfremdungsverordnung zeigte deutlich, dass qualifizierte Anwälte den Preis für entsprechende Erlaubnisse deutliche herabsetzen konnten. Es lohnt sich also bereits jetzt, die Sicherstellung einer bereits bestehenden gesetzeswidrigen Nutzung oder die zukünftige Umwandlung einer Wohnung in Geschäftsräume mit anwaltlicher Hilfe durchzusetzen.

 

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